Mensch im Mittelpunkt. Grün.

Grün – ein im politischen Kontext erwartungsgeschwängertes Wort. Grüne Politik war lange ein Nischenprodukt, bis die grüne Welle kam. Viele Leute dachten: Das ist eine Mode, die geht vorbei wie das Grün des Laubwaldes. Bis plötzlich klar wurde: Auf einer Welle sassen wir bisher, und jetzt gehen wir sozusagen ‘auf Grund’. Wenn wir nicht an den Klippen zerschellen wollen und erbärmlich ertrinken, dann müssen wir jetzt versuchen, Kontrolle über das schlingernde Schiff zu bekommen und in sicheres Gewässer zu steuern.
Nun gibt es auch Leute, die sagen, dass das alles nur Panikmache sei. Die gab es auf der Titanic auch. Ausserdem gab es Prediger, die das Wunder vom Himmel herabzubeten versuchten und Schlaue, die so taten, als wären sie Papi eines Kindes, um auf eines der begehrten Rettungsboote zu kommen. Leider spricht die Wissenschaft in diesem Kontext eine so klare Sprache, wie es die Unschärfe menschlichen Denkens überhaupt nur zulässt: Wir zerstören gerade selber unsere Lebensgrundlage. Das bedeutet noch lange nicht, dass wir diese Selbstzerstörung stoppen können, indem wir versuchen, einen anderen Kurs einzuschlagen. Aber das sollten wir wenigstens versuchen.
In der Medizin kennen wir (patho)physiologische Mechanismen, bei welchen alles mit einer unglaublichen Wucht aus dem Ruder läuft. Ein gutes Beispiel ist das Multiorganversagen bei einer Blutvergiftung (Sepsis). Die Zeichen für eine solche Entwicklung sind am Anfang diskret und nur für das erfahrene Auge erkennbar: Ein etwas niedriger Blutdruck. Keine Urinausscheidung mehr. Ein unruhiger Patient, der plötzlich Unsinn spricht. Rote Flecken auf der Haut, wenn das Gerinnungssystem aus den Fugen gerät. Und dann kippt das System und es ist Krieg. Um jedes einzelne Organ muss gekämpft werden. Wir wissen mittlerweile, dass es in den Anfängen dieser meist tödlichen Entwicklung um jede Minute geht: Wenn wir etwas früher das Antibiotikum geben und den Blutdruck stützen, dann können wir einen Teil der schweren Folgen verhindern. Aber nur vielleicht. Meistens sind wir chancenlos.
Wir sind bei einem Grad Erwärmung der Durchschnittstemperatur unseres Planeten. Auch beim Menschen ist 1 Grad relevant. Was, wenn die Erde Fieber hat? Und die Unwetter und Dürreperioden ungekannten Ausmasses die ersten Zeichen des Multiorganversagens sind?
Ich persönlich halte es für schlicht verantwortungslos, zum jetzigen Zeitpunkt Zweifel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu sähen. Auch das Argument, dass der Mensch doch eh nichts ändern kann, halte ich in diesem Kontext für ungültig. Ja, vielleicht sind wir schon zu spät. Doch die Alternative zum Versuch einer Schadensbegrenzung bedeutet das Ende der Menschheit. Run, Forrest!
In der Politik finde ich es wenig zielführend, den jungen Klimastreikenden ihre eigenen Fehler vorzuwerfen, anstatt ihre Anliegen ernst zu nehmen. Das Argument beispielsweise, dass die streikenden Jungen auch ein Handy benutzen und dieses ja nicht klimaneutral sei, lenkt nur vom Wesentlichen ab und trägt nichts zur Problemlösung bei. ⅔ unseres CO2-Ausstosses können wir als Privatperson nicht beeinflussen. Und für diese ⅔ lohnt es sich, die schlafenden Politiker*innen aufzurütteln. Wir müssen unseren Energiehunger drosseln. Aber wir werden nie keine Energie brauchen. Weniger und bessere Energie ist das Ziel. Diesen grünen Mantel muss sich jede Partei anziehen, wenn sie nicht den Untergang der Menschheit in ihr politisches Leitbild aufnehmen will. Mit dem Finger aufeinander zu zeigen, ist ein Verhalten, das wir Hansli schon in der ersten Klasse abgewöhnen.