‘Ich weiss, dass ich nichts weiss.’ Ist diese 2500 Jahre alte Aussage von Sokrates eine nervige Untertreibung? Oder könnte man daraus vielleicht sogar schliessen, dass alles egal ist und behauptet werden kann, was einem gerade passt, weil ja sowieso nichts Hand und Fuss hat?
Ich finde: weder noch. Wir Menschen können viel wissen, aber ob es stimmt, können wir nie mit voller Sicherheit beurteilen. Kant war bei seiner ‘Kritik der reinen Vernunft’ (ca. 1780) noch der Meinung, dass es ‘sicher richtiges Wissen’ gibt (er nannte das ‘a priori’ und meinte damit z.B. Mathematik und Geometrie). Doch dann kam Einstein und warf alles über den Haufen. Mittlerweile sind sich alle einig: kein Wissen ist sicher.
Also ist es egal, was man so behauptet? Nein. Denn Wissen ist nicht abschliessend richtig oder falsch. Vielmehr ist Wissen ein Prozess, der sich mit der ständigen Erweiterung eines Hauses vergleichen lässt: Eines Hauses mit einem stabilen Fundament, aber der Möglichkeit, viele Stockwerke oder kleine Erker oder Stuckaturen zu ergänzen. Kommt eine neue Information, wird diese in einem oberen Stockwerk eingebaut. Dort passt aber nicht alles hin, darum wird auch nicht jede Information eingebaut. Wichtige, oft erlebte Informationen bilden das Fundament. Das Fundament und die oberen Stockwerke des ‘Wissens-Hauses’ einer Wissenschaftlerin beinhalten andere Informationen als das einer Deutschlehrerin. Und wenn nun eine Virologin von einem Germanisten gesagt bekommt, dass ein PCR-Test nicht gut ist, ist das etwa so, wie wenn eine Feder gegen das Haus fliegen würde: Es verändert schlicht gar nichts, weil es im gegebenen Kontext keine relevante Aussage ist.
Mich persönlich hat die Auseinandersetzung mit der Struktur des Wissens Demut gelehrt: Wir Menschen sind alles andere als perfekt. Darum kann es keine abschliessende Wahrheit geben. Die Wahrscheinlichkeiten sind jedoch keinesfalls beliebig, sondern entsprechen den aktuellen Erkenntnissen wissenschaflicher Arbeit.
Auf politischer Ebene ist das seriöse Aneignen von Wissen über eine Sache, über welche ein Beschluss gefasst werden soll, wichtig. Das Milizsystem in der Schweiz ist deshalb gut, weil Politiker*innen selten ‘nur’ Politiker sind, sondern auch einen Beruf können und darin ein sicheres Wissens-Fundament haben. Und wer selber kein Experte ist, sollte auf Experten hören (die aber selbstverständlich auch falsch liegen können, das ist aber viel weniger wahrscheinlich). Das gehört zum Respekt gegenüber den anderen Menschen und der Natur.