Mensch im Mittelpunkt. Wissenschaftskritik.

Es gibt Dinge, die sind einfach, wie sie sind. Zumindest allermeistens. Ein gutes Beispiel dafür sind physikalische Phänomene wie etwa die Schwerkraft. Ja, meistens fällt man auf die Nase, wenn man stürchelt. Aber eben nicht immer, z.B. wenn man sich gerade in einem Vakuum befinden würde. Oder schon im Wasser ist die Schwerkraft anders zusammengesetzt. Und eigentlich geht es ja sowieso um die Erdanziehung. Bei kleinen Kindern im Warum-Alter wird einem manchmal plötzlich bewusst, dass doch nicht alles ganz so selbsterklärend ist. ‘Mama, warum ist Uroma gestorben?’ ‘Weil sie alt war.’ ‘Warum?’ Gute Frage! Ironischerweise ist die einzige Sicherheit im Leben, nämlich dass das Leben endlich ist, gleichzeitig das grösste Geheimnis. Warum ist denn alles so, wie es ist? Als Agnostikerin überzeugt mich hier weder die Antwort des Big Bangs (ja, den gab es wahrscheinlich… aber was war vorher?) noch die Antwort: Gott hat alles erschaffen (wer hat Gott erschaffen? Warum erschafft er etwas, wo so viel Leid geschieht, und duldet das einfach?) Somit bleibt mir nur, das grosse Geheimnis unserer Existenz zu akzeptieren.

Und trotzdem gilt die Erdanziehung als physikalisches Gesetz, (normalerweise) unumstösslich und (normalerweise) mit den bekannten gnadenlosen Folgen.
Ich stelle mir das vor wie einen Kreis: im Inneren des Kreises herrschen klare physikalische Regeln. Je weiter man sich vom Zentrum wegbewegt, desto unklarer wird alles, desto nebulöser und wunderbarer. Zu äusserst, quasi am Horizont, dann die grossen Fragen der menschlichen Existenz.
Im Inneren des Kreise, also bei den regelmässig zu beobachtenden, gut verstandenen Phänomenen hält sich Wissenschaft selten auf. Wissenschaft möchte Licht ins Dunkel bringen und die nebulösen Teile der Welt erforschen. Deshalb gehört bei wissenschaftlichen Arbeiten die Einschätzung der Unschärfe der gelieferten Information immer mit dazu. Die Stärken und Schwächen eines Studiendesigns, die Einschränkungen bei der Interpretation werden mitdiskutiert. Wir erfahren beim Lesen wissenschaftlicher Arbeiten, wo im Kreis wir uns ungefähr befinden.
Nun gibt es Menschen, die die Wissenschaft kritisieren, weil nicht alles sicher ist. Sie meinen, weil ausserhalb des Kreises alles unsicher ist, sei innen auch alles unsicher. Und wenn innen alles unsicher ist, kann man ja auch gleich seine eigene Realität basteln. Spannenderweise wird diese Parallelwelt oft gepaart mit der Behauptung, dass man sich damit nun aber ganz sicher in der Mitte des Kreises befindet. Jeder Frosch denkt, sein Teich sei der Grösste.
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir den wissenschaftlichen Errungenschaften mehr Sicherheit zuschreiben dürfen, als das im Moment generell getan wird. Erst recht, wenn wir selber nicht das Vorwissen haben, um die Schärfe oder Unschärfe beurteilen zu können. Wenn jemand uns wissenschaftliche Befunde als unsicher verkauft, könnte es sein, dass er einfach nur seinen Teich für den Grössten hält. Und wenn jemand dann auch noch seine Welt als die Wahre verkauft, sollten sowieso unsere Alarmglocken läuten.
In der Politik dünkt es mich manchmal, es würde zum guten Ton gehören, für alles eine Antwort bereitzuhaben. Kompetenz ist aber nur mit entsprechendem Vorwissen möglich, und je wissenschaftlicher ein Thema ist, desto mehr Vorwissen ist nötig, um sich sinnvoll äußern zu können. Vielleicht wäre es deshalb manchmal besser, sich selber keine extra Meinung zu gönnen, sondern an die Wissenschaft zu verweisen. Sonst wirkt es allenfalls ziemlich drollig. Und führt aktuell sogar teilweise zum Tod.